Auf der Hochzeit
Sagte der Geiger: »Heute,
Wo Bagger kreischen,
Kann man nicht mehr mit Roßhaar
über Katzendarm streichen
Und nennen das noch Musik.«
»So was«,
Sagte der Geiger,
»machte man damals,
Als die Geräusche noch mitbestimmt wurden
Von wiehernden Pferden
Und schreienden Katzen,
Als man also
Unter ganz anderen Produktionsbedingungen
Hörte.«
Dann strich er
Mit nylonbespanntem Bogen
über die Stahlsaiten seiner elektrisch verstärkten
Stradivari.
Und man konnte,
Wenn man wollte,
Hören
Wie ein Bagger zwei Stuten
Und mehrere Kater
Fraß.
»Schön«, sagten die Hochzeitsgäste,
»aber nun geig mal
Mit deinem feinen Verständnis für Töne
Und unseretwegen allemal auch mit 220 Volt,
Auf wen denn nun
- Katzen hin, Pferde her ?
Die Produktionsbedingungen hören.
Und das heißt,
Wem die Produktionsmittel
- zum Beispiel Bagger ?
Gehören
Und wem sie gehören sollten.«
Aber der Geiger geigte schon wieder
Den Tod der Kater und Stuten.
Da gingen die Hochzeitsgäste
In einen anderen Raum
Und einer nahm das Akkordeon
Und spielte »So ein Tag so wunderschön wie heute«,
Und alle sangen mit.
Und jemand sagte,
»das haben wir damals gesungen
Beim Streik . . .«
Und dann sangen sie das Lied noch einmal
Und andere Lieder von anderen Streiks,
Und Rudi Schulte
Rieb seine beinlose Nase und lachte.
»Kinder«, sagte er, »wir sind
Ganz schön weitergekommen im letzten Jahr.«
Aus dem Nebenraum drangen
Manchmal die rabiaten Töne der Geige.
Aber das störte nicht weiter.