Am Ende vom Tag
Die Armen:
Und am Ende vom Tag bist du einen Tag älter
So war's immer, so bleibt's, das ist unser Geschick
Hier frißt jeder jeden auf, denn kein Mensch wird uns Gnadenbrot geben
Und wir warten lebenslang, aber worauf?
Ein Tag weniger Leben
Und am Ende vom Tag bist du einen Tag kälter
Die paar Fetzen am Leib halten Hagel nicht ab
Jeder, der uns betteln sah, eilt vorbei an unser'm Verderben
Und der Winter ist fürchterlich nah, weiß wird das Grab
Ein Tag näher am Sterben
Doch am Ende der Nacht gibt's ein böses Erwachen
Und die Sonne am Morgen bringt Feuer und Licht
Unser Meer verschlingt den Strand, und ein Sturm wird aus unseren Qualen
Uns're Not nimmt sich das Land, und die Satten, sie werden bezahlen
Dann wird kurzer Prozeß gemacht
An der Wende der Nacht
Arbeiter:
Doch am Ende vom Tag soll'n die Faulen verfaulen
Als ob ich nicht wahrhaftig genug Sorgen hätt
Ich hab Kinder zu ernähr'n, uns're Kinder werden nicht fett
Und ich freu mich auf jeden Tag Lohn, und auf mein Bett
Und wir danken den Herren
Verschiedene Frauen:
Schaut euch an, wie der Vermann vor Männlichkeit schwitzt
Und wie keuchend sein stinkender Atem ihm geht
Bei der kleinen Fantine ist er glatt abgeblitzt
Seine Hose wird enger, je strammer er steht
Arbeiter:
Doch am Ende vom Tag ist die Mühe vergessen
Wenn das Geld in der Tasche für's Nötigste reicht
Zahl die Miete, zahl den Wein, heute abend von allem das Beste
Morgen kannst du sparsam sein, oder prügel dich wieder um Reste
Einmal krieg ich, was ich mag
Ganz am Ende vom Tag
Mädchen:
Und was ha'm wir hier, kleine Unschuld vom Lande?
Mach schon, Fantine, zeig her was man schreibt
"Liebe Fantine, zahl uns diese Rezepte
Dein Mädchen braucht Hilfe, verlier keine Zeit"
Valjean:
Was soll der Lärm vor unser'm Tor?
Wollt ihr wohl auseinandergehn
Diese Fabrik ist doch kein Tollhaus
Ich bitt' euch, Mädchen, haltet ein
Ich bin der Bürgermeister hier
Und möcht' es gern noch länger sein
Ich denke, du klärst alles auf
Doch mach die Sache nicht zu groß
Vormann:
Raus mit der Sprache, was war los?
Mädchen:
Wenn man's richtig bedenkt, sie allein macht hier Ärger
Sie versteckt ihre Tochter und tut so adrett
Dafür zahlt sie einem Kerl, möchte wissen, wo sie das wohl hernimmt
Woll'n wir wetten? Sie schafft dafür an, abends im Bett
Ob der Chef das wohl gern sieht?
Fantine:
Ja, ich habe ein Kind, eine schwerkranke Tochter
Doch der Vater verriet uns und ließ uns allein
Ein Paar Wirtsleute nahm sich das Mädchen ins Haus
Und ich zahle dafür, was soll schlimm daran sein?
Arbeiterinnen:
Wenn man's richtig bedenkt, das ist wirklich die Höhe
Wenn das jeder so machte, wo käm' man da hin?
Wir tun anständig unsere Pflicht, sie verdient ihr Geld nicht mit den Händen
Schick die Schlampe schleunigst weg, sonst wird jede hier so wie sie enden
Hier kriegt keine was geschenkt
Wenn man's richtig bedenkt
Vormann:
Hab' ich mir's gedacht, das Kätzchen schurrt
Hab' ich mir's gedacht, das Miststück hurt
Sie hat doch irgendein Geheimnis
Ach, ja, die heilige Fantine
Die immer unberührbar schien
Doch jetzt durchschauen wir dein Spiel
Und was zuviel ist, ist zuviel
Spielst hier die Jungfrau, doch bei Nacht
Hast du's noch keinem schwergemacht
Mädchen:
Sie hat jeden geliebt, doch bei dir nur gelacht
Arbeiterinnen:
Sie hat sich und uns alle unmöglich gemacht
Mädchen:
Wenn sie bleibt, dann geh'n wir
Arbeiterinnen:
Heut' noch fort mir ihr
Vormann:
Tja, mein Schatz, raus mit dir
Writer(s): claude-michel schönberg, heinz rudolf kunze
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