100 Meisterwerke: Songtext

von Stenkelfeld

Worum geht es in dem Song?

Der Songtext "100 Meisterwerke" von Stenkelfeld handelt von einem Kunstwerk mit dem Titel "Die Inspektionsrechnung Autoh...

Die Galerie Stenkelfeld präsentiert: "100 Meisterwerke".
Heute: "Die Inspektionsrechnung Autohaus Örtel 1989 Kugelschreiber auf Altöl DIN A 4".

"Die Wirklichkeit interessiert mich nicht", schrieb einmal Heinrich Örtel an einen übereifrigen Rechtsanwalt. "Für mich zählt nur was wahr sein könnte", für die Richtigkeit dieser Selbsteinschätzung, spricht Örtels Inspektionsrechnung wohl eines der erschütternsten Werke der Moderne. Dabei ist Örtel in bestechender Simplifizierung gelungen, woran sich von Darlee bis Picasso eine ganze Künstlergeneration versucht hatte. Die Darstellung der Zeit, der unerbittlich verrinnenden, unwiderbringlichen Arbeitszeit, die in der Schlichtheit und Monotonie unseres täglichen Schaffens immer schneller vorbeirasen möchte und gleichsam zur unbezahlbaren Kostbarkeit wird. Reifendruck teilweise geprüft zwei Stunden. In strenger Linienführung und sparsamer Farbgebung führt Örtel unser subjektives Zeitgefühl adabsurdum. Radmuttern entgratet und überzahnt, vier ein halb Stunden. Bremsscheiben poliert und gefettet, drei Stunden. Oder auch Hutablage aufgeraut und auf korrekten Sitz überprüft, sieben Stunden. Der kargen, robusten Zeitsäule stellt der Künstler immer wieder aufs Neue fragile Brechungen gegenüber. Rätselhafte Kleinteile wie Kupplungsriegel, Zündluschen und Hartgummignöbel leiten uns in spielerischen Dessenz zu endlosen Zahlenkolonen am rechten Bildrrand. Örtel will anklagen und seine Mahnung trifft. Es ist nicht nur die Zeit, sondern auch das uns fremdartige Ausfüllen der Zeit skurielen Tun. Wir müssen Inne halten und uns Fragen stellen. Was verbirgt sich hinter stundenlangen Umwuchten und Plünieren einer Gelenkwelle oder den Entlöten einer Manschettennippelschelle gemäß den Empfehlungen des Herstellers in vier ein halb Stunden. Örtels Inspektionsrechnung hinterlässt uns einsam und ratsuchend. Seine Provokation gelingt. Dem Auftraggeber der Grafik einem einstmals wohlhabenden Geschäftsmann aus dem Holzsteinischem brachte das Werk kein Glück. Er lebt heute verarmt im Keller einer Fischfabrik an der Westküste.