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Nekrolog A. (Lesung) Songtext

Stillste Stund - Nekrolog A. (Lesung)
Quelle: Youtube
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Ich möchte, dass wir einem Mädchen gedenken. Einem Mädchen, welches vor vielen Jahren in diesem Haus ein furchtbares und kaum zu begreifendes Schicksal ereilte.

War Alice zu weit eingetaucht in das Spiegelbild ihrer Realität, oder einfach zu weit in die Wirklichkeit.?

Alice, so berichtet uns die Familienchronik aus jenen Jahren dieses von so vielen Unglücken heimgesuchten Anwesens, war acht Jahre alt, als man sie eines Morgens in der Eingangshalle vor dem zerschlagenen Spiegel liegend fand. Ein Vorfall, der alles verändern sollte. Denn das Kind, zuvor stets lebensfroh und aufgeschlossen, lag von nun an ohne eindeutige Anzeichen von Wahrnehmungen dessen, was in seiner Umwelt passierte, an das Bett gefesselt.
Arme Alice, arme Alice.
Unheimliche Geräuche und Stimmen will man des Nächtens aus ihrem Zimmer gehört haben.

Es ist schrecklich zermürbend zu lesen, über wieviele Jahre man versucht hatte sich der geistigen Klarheit des Mädchens zumindest Ansatzweise wieder etwas erfreuen zu können.
Alice schien stets abwesend und zerbrechlich, wenn sie die Augen geöffnet hatte, war ihr Blick starr und leer und ohne jegliche Reaktion.

Vier Jahre nach dem erwähnten Vorfall in der Eingangshalle, sollte Alice' Leben auf genauso furchtbare wie mysteriöse Weise enden; Ein Kind von mittlerweile zwölf Jahren, ausgeweidet vor seinem Bett aufgefunden.
Ein Fall, der nie eindeutig aufgeklärt werden konnte und der seiner Zeit -verständlicherweise- ein furchtbares Trauma in der gesamten Familie und bei den Bediensteten auslöste.

So verloren die Eltern schon ihr zweites von drei Kindern, wurde Alice' Zwillingsschwester Laurina doch bereits tot geboren. Und auch der zwei Jahre ältere Bruder Viktor, der das Anwesen viele Jahre später übernahm und für seine medizinischen Experimente nutzte, sollte sich zu einer eher tragischen Figur entwickeln... Doch dies ist eine andere Geschichte, zu lang um hier erzählt zu werden.

Zwar sollte das Anwesen nie wieder Kindern ein zu Hause bieten, doch berichten spätere Bewohner immer wieder von Kinderstimmen und schwer einzuordnenden Geräuschen aus dem Teil des Hauses, in dem sich einst das Zimmer von Alice befand.
Dieses Zimmer steht auch heute noch leer und kann nicht genutzt werden.

Diese Vorfälle sind nun schon so viele Jahre her und dennoch bis heute bedrückend und unheimlich, vor allem für mich, da ich ja selber in diesem Haus lebe und mich nun seit einigen Jahren mit dieser Geschichte auseinandersetze.
Und ich habe sogar ein mal... nun... davon geträumt. Ich traf ein Mädchen, sie sah ungewöhnlich blaß aus, blutleer möchte ich sagen, in ihrer Brust klaffte ein riesiges Loch, doch sie machte nicht den Anschein, als hätte es sie sonderlich gestört. Es war Alice. Ich gab mich ihr aufgeschlossen, und konnte so ihr Vertrauen gewinnen. Wir haben viel geredet, und sogar gelacht, aber die ganze Zeit über erschien sie mir irgendwie unwirklich.

Sie fragte mich schließlich, vollkommen unvermittelt, "Sind Menschen, die mehr zu sehen vermögen, wirklich dem Leben entrückt, gar verrückt? Oder doch eher der Wahrheit zu nahe gerückt.?"

Ihre Frage, oder viel mehr die Art wie sie sie stellte, schien mir so erwachsen und rational, dass ich ganz vergaß, dass sie ein Kind war, und daher auch nicht wie einem Kind antwortete. Ich dachte also nach, und sagte dann:
"Vielleicht gibt es eine Art biochemische Schwelle in unserem Gehirn, die ausgesetzt werden kann. Oft bringen doch gerade Momente uneingeschränkter Wahrnehmung die wirklich neuen Ideen und ungeahnte Fähigkeiten hervor, äh, weitab unserer Erfahrungen und Erwartungen. Neue Anstöße also, Genie... Aber auch Weltfremdheit und Unverstandenheit; 'Ich sehe etwas, was du nicht siehst'.
Nun, wer kann also sagen was dieser Schutzmechanismus alles herausfiltert von dem, was unsere Sinne uns mitzuteilen versuchen... Wer kann sagen, was für Welten, die wir lediglich nicht wahrzunehmen vermögen, um uns herum existieren? Wir ahnen längst, dass selbst Raum und Zeit keine starren Erscheinungen sind, warum sollte also nicht noch viel mehr möglich sein? Viel mehr existent sein? Vielleicht sollen uns die Umstände, wie wir sie kennen und somit als 'normal' empfinden, lediglich behilflich sein uns in einer um vieles komplizierteren Welt zurrechtzufinden... mittels einer Scheinwelt, die wir greifen und begreifen können."

Alice nickte in Gedanken verloren, dann beugte sie sich langsam zu mir herüber, fixierte mich mit ihren Augen, und bemerkte mit wichtiger Stimme:
"Ist es dann nicht ignorant, sogar unsagbar dumm, zu glauben dass diese Welt, wie wir sie wahrzunehmen und zu kennen glauben, die einzig existierende und am Ende womöglich noch wichtig wäre? Halten denn nicht nur Narren ihr Sein und ihr Treiben für wichtiges Gut?"

Ich schreckte hoch bei diesen Worten, in meinem Magen ein mehr als mulmiges Gefühl. Vielleicht gar nicht mal wegen ihres Inhalts, es war viel mehr diese eindringliche Art und Weise mit der sie sie aussprach, und wie ich sie niemals wiedergeben könnte...
Aber tatsächlich, was von dem, mit dem wir uns Tag ein, Tag aus beschäftigen, ist in diesem alles Umgreifenden Sinn wirklich noch wichtig.?
Dieser Traum... Alice hat mir die Augen geöffnet und ich erinnere mich jedesmal wieder daran, wenn ich unten im Kellergewölbe diesen uralten, mächtigen Spiegelrahmen von damals stehen sehe.

Zum Dank - und ich empfinde dies nicht nur als ein tiefes Bedürfnis, sondern geradezu als eine Verpflichtung - wollte ich ihre Geschichte erzählen, was ich hiermit, so gut es mir möglich ist, getan habe.

Und ich möchte Abschließen, mit den Worten Victor-Marie Hugos;
Tod und Schönheit sind zwei hohe Dinge, die gleich viel Schatten und Licht enthalten, sodass man sie für zwei Schwestern halten könnte, gleich schrecklich und furchtbar, erfüllt von dem selben Rätsel und dem selben Geheimnis.

Danke, dass ihr mir zugehört habt.
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