Ludwig Hirsch
Der Wolf
Ganz hinten in dem kleinen alten Tiergarten,
Wo die Viecher ganz besonders traurig schaun,
Da lebt mir scheint's schon ewig
In'm dunklen engen Käfig der alte, räudige Wolf.
Ein'n Hasen und ein'n Tanzbärn, die hat er dort als Nachbarn,
Der alte, räudige Wolf.
Den meisten Ärger hat er mit dem Hasen,
Ein Vegetarier, no, was willst noch mehr?
Des Gfrast schimpft immer umtue,
Ist frech und zeigt die Zunge dem alten, hungrigen Wolf.
Ja hinter einem Gitter san die Hasen sogar sicher
Vorm alten, hungrigen Wolf.
Mit'm Tanzbärn kann er leider a net reden.
Wie der noch Tango tanzt hat, war's no net so schlimm.
Seitdem man "Schwanensee" probiert und den Spitzentanz studiert,
Da wern die andern Viecher alle ingnoriert.
Er is zu jedem präpotent, der den Nurejew net kennt.
Was soll er machen, der alte, blöde Wolf?
Am Sonntag kommen oft ein Haufen Menschen,
Die schaun ihn dann durchs Gitter deppert an.
Dann schimpfen s' fürchterlich und spucken ihm in's Gsicht,
Weil er die Geislein gfressen haben soll.
Ja, den Hasen, den ham s' gern, da capo schrein's beim Bärn.
Er hat's net leicht, der alte, schiache Wolf.
Und einmal in der Wochen, jeden Freitag,
Da wird er vom Wärter dressiert.
Mit'm Schwanz muß er dann wedeln und das Pfoterl muß er geben,
Der arme, alte Wolf.
Einmal hat er bissen - drauf ham s' ihm die Zähn aus'm Maul außegrissn,
Dem armen, alten Wolf.
Nur in der Nacht -- so zwischen elfe und halb zwölfe --
Da singt er dann zum Mond das Lied der Wölfe:
Dort, wo der Regen net bitter schmeckt,
Dort, wo die Nacht die Zigeuner versteckt,
Dort, wo die Sonn' deine Wunden heilt,
Dort is des Land, das Freiheit heißt
So glaubt e,r der alte, blöde Wolf!
Dort, wo der Sturm die Baumspitzen quält,
Dort, wo der Wind keine Lügen erzählt,
Dort, wo ein Vieh kein Gitter kennt,
Dort is des Land, das er Freiheit nennt,
Der alte, räudige Wolf.
Writer(s): Ludwig Hirsch
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