Sie war ein stillgelegtes Fragezeichen
Und hatte Augen, die, wenn man's verstand,
Dem viel versprachen, der sich viel erhoffte,
Nur war es selten, daß sich jemand zu ihr fand.
Sie war nicht schön und hatte eine schlaffe,
Sehr unberührte weiße, kleine Brust
Und Pickel im Gesicht und krumme Beine.
Und man versteht: Es hatte niemand rechte Lust.
Nur sie, nach zwanzig kargen Jahren,
War vollgefüllt mit Wünschen aller Art,
Mit Lüsten, die dem bald sehr deutlich werden,
Der sich des Abends mit sich selbst nur paart.
Sie war Studentin und verstand es wohl,
Emanzipiert zu sein, wenn sie mit andern sprach,
Und sprach von Marx und Kant, nur nie von Blumenkohl,
Weil es ihr da an Sachverstand gebrach.
Und doch, wie träumte sie in ihren Nächten
Von Haus und Herd und einem feisten Mann
Mit Mannesfleisch und Mannesruch und Mannesgliedern
Und auch von nassem Heu und dann und wann
Von einem Fleisch, das feucht und ohne Worte
Sich auf sie legt und wiegt und treibt,
In ihren Armen auf und nieder stößt
Und dann sehr weich ist, träumt und schweigt.
Sie war ein stillgelegtes Fragezeichen
Und löste sich in einer Nacht von sich,
Als sie das Messer nahm und in den Park sich legte
Und nackt und ungebärdig durch die Gegend strich.
Und dann, als einer kam, der von der Nacht
Etwas umnachtet und auch rascher ging,
Ein Mann, den Schritt fest in der Hand, die Hände eingetascht,
Sprang sie empor und stürzte sich zu ihm.
Und eh er ahnte, eh er staunen konnte,
Riß sie die Hose ihm bis zu den Knien.
Und er war unbeweglich, und sie konnte
Mit einem Messerschnitt ihm das Geschlecht entziehn.
Es gibt ein stillgelegtes Fragezeichen,
Das nicht viel spricht und das man selten sieht,
Und keiner ahnt, was sie aus ihren Einsamkeiten
An lustgewinnlerischen Freuden zieht.
Ein wildes Spiel, sie treibt es auf und nieder
Und ist bedacht drauf, daß es niemand sieht,
Und ist verzückt und treibt es immer wieder,
Und Mittler ist ein abgeschnittnes Glied.
Writer(s): Konstantin Wecker
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