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Wieder unterwegs Songtext

Hannes Wader - Wieder unterwegs
Quelle: Youtube
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Von Norden kommend, bin ich schon seit Stunden auf der Straße, fahre ohne Eile, döse vor mich hin
Bei Hannover irgendwo mach' ich eine kleine Pause, weil ich tanken muß, und weil ich hungrig bin
Und dann roll' ich wieder weiter. An der Ausfahrt steh'n zwei Jungs, ich halte an und sie steigen zu mir ein
Sie erzählen dies und jenes, daß sie beide achtzehn sind und wollen noch vor Mitternacht in Frankfurt sein
Beide können keine Arbeit kriegen, möchten gern' was lernen, sind das jahrelange Gammeln endlich leid
Wollen sich mit Leuten treffen, denen es nicht anders geht, sind zum Betteln, Schlangesteh'n nicht mehr bereit
So vergeht die Zeit mit Reden; bei der Abfahrt „Sauerland“ bieg' ich ab und lass' die beiden wieder raus
Diese jungen Leute lassen nicht mehr alles mit sich machen, vielleicht sieht die Zukunft so schlecht gar nicht aus!

Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseits –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus

Glutrot geht die Sonne unter, wunderbar, doch irgendetwas ist da, was mich deprimiert und 'runterzieht
Und der Grund ist bald gefunden, denn im Autoradio läuft seit Stunden so ein Disco-Schweinebeat
Ich dreh' ab, gleich geht's mir besser, fange selber an zu singen aber plötzlich spuckt und stottert der Motor
Kurz entschlossen fahr' ich rechts auf einem Knüppeldamm entlang, der führt kerzengrade mitten durch ein Moor
Die Benzinuhr leuchtet auf, ich schaffe noch fünf Kilometer und dann sitz' ich fest – weiß nicht mal, wo ich bin!
Es wird dunkel und ich lausche, höre Schüsse, Hundebellen: „Das sind Jäger“, denk' ich, „vielleicht find' ich hin.“
Und ich nehme den Kanister, komme an ein Lagerfeuer, seh' mich um und höre jemand „Wer da?“ schrei'n –
Schwarze Kutten, Knobelbecher, Messer und Gewehre seh' ich, Schäferhunde: Jäger können das nicht sein!

Hände packen mich von hinten, zerren mich brutal zum Feuer; einer, der wahrscheinlich Chef der Gruppe ist
Schreit: „Den kenne ich, den Lumpenhund, der singt undeutsche Lieder! Ein Spitzel ist er, und ein Kommunist!
Für Spione keine Gnade! Sprengkommando angetreten! Sucht das Auto, und dann jagt es in die Luft!
Unsre Jüngsten soll'n beweisen, dass sie echte Männer sind! Sofort abführ'n und erschießen, diesen Schuft!“
Und schon führen mich drei Knaben in den nah' geleg'nen Wald, sind bleich vor Angst; auch mir zittern die Knie
Doch ich nutze die Sekunde, als mein Wagen explodiert, das ist meine letzte Chance – jetzt oder nie!
Und ich renne, renne, renne, wie noch nie in meinem Leben, höre das Geschrei, die Schüsse hinter mir
Dazu platzt mit einemmal ein Gewitterregen nieder. Denken kann ich nicht, nur fliehen wie ein Tier

Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseits –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus

Und mal stürz' ich über Wurzeln, und ersticke fast im Schlamm; Dornen reißen mir das Fleisch aus dem Gesicht
Die Stiefel hab' ich längst verloren – ich kann keinen Schritt mehr geh'n: mir gleich, ob sie mich finden, oder nicht!
Und ich schlafe einfach ein, wache erst nach Stunden auf von zartem Flötenspiel im Sonnenschein
Vor mir sitzt im hohen Gras ein Mädchen, bläst die Weidenflöte, trägt ein selbstgenähtes Kleid und lächelt fein
Nimmt mir dann mit spitzen Fingern den Benzinkanister ab, denn den trage ich noch immer in der Hand
Übergibt ihn ein paar Leuten, die grad' in der Nähe sind, die verbuddeln ihn fünf Meter tief im Sand.
Meine Angst kommt wieder hoch, und als ich schreie: „Hilfe! Mörder!“ sagt das Mädchen sanft: „Ich will, daß du verstehst:
Für uns bist du unser Bruder, und wir wollen gar nicht wissen, wer du bist, woher du kommst, wohin du gehst.“

Und sie führt mich in ihr Haus, heilt mir meine wunden Füße, kühlt mit Kräutern mein Gesicht, bringt Brot und Wein
Sie bereitet mir ein Lager, hockt sich hin zu meinen Füßen, nimmt die Flöte, spielt – bald schlaf' ich wie ein Stein
Fühl' mich gut am nächsten Morgen und sie bringt mir frische Kleider, Holzsandalen und ein leinenes Gewand
Als sie sieht, dass ich noch hinke, setzt sie mich auf einen Esel, drückt mir Brot und Ziegenkäse in die Hand
Wär' so gerne noch geblieben, aber ich muss weiterreiten, weil mein Puls nun einmal in einem Rhythmus schlägt
Der sich mit dem stillen Leben, diesem handgewebten Frieden fern der Welt, auf die Dauer nicht verträgt
Doch von wegen „fern der Welt“: ich bin kaum hundert Schritt geritten, steh' ich schon vor einem Stacheldrahtverhau
Seit heut' Nacht ist hier klammheimlich – niemand hatte das bemerkt – ein gewaltiges Atomkraftwerk im Bau

Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseits –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus

Wieder hör' ich Hunde bellen, sehe Männer mit Gewehren, schlage einen großen Bogen durch den Wald
Reite weiter, Stunden, Tage, unter Autobahnen durch, mach' am Ufer eines Flusses endlich halt –
Plötzlich ringsum viele Menschen, die laut beten, seufzen, singen, sich die Haare raufen, „Halleluja!“ schrei'n:
„Seht den Mann dort auf dem Esel, das Gewand und die Sandalen! Hosianna, Freunde, das muß Jesus sein!“
Und ich flüchte in den Strom, spring' von einem Stein zum andern, und am Ufer knien die Pilger im Gebet
Müssen zuseh'n, wie ich stürze, wie ihr falscher Herr und Heiland – kaum erschienen – wieder kläglich untergeht
Gleich reißt mich die Strömung fort, meilenweit. Der Fluß wird breiter, und ich schwimme, kämpfe, komme nicht an Land
Links und rechts Chemiefabriken, und das Wasser schäumt und stinkt – halb ertrunken treibe ich zum Uferrand

Und am Ufer spielen Kinder; gurgelnd schreie ich um Hilfe, doch es ist, als brüllt' ich gegen eine Wand
Einer taucht die Finger in den giftverseuchten Fluß, leckt sich den Schaum wie Zuckerwatte von der Hand
Die anderen lallen, kichern, kotzen und dass ich ans Ufer krieche, fast verrecke, merken sie nicht mehr
Auch ich hab' von dem Schaum gefressen, literweise Gift geschluckt – nackter Horror fällt über mich her
Ich sehe Kinder mit drei Köpfen, Fratzen – grauenhafte Monster dringen auf mich ein, sind plötzlich riesengroß!
Und ich kreische vor Entsetzen, reiße einem kleinen Jungen schnell sein Skateboard aus der Hand und rase los
Doch bald komm' ich wieder zu mir, immer noch auf meinem Skateboard, flügelschlagend torkle ich wie ein Hahn
Auf 'ner Henne, die nicht will – und das bei Tempo 130, als Geisterfahrer auf der Autobahn

Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseits –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus

Höre Hupen, Reifen quietschen, sehe Autos bremsen, schleudern, finde eine Ausfahrt; als ich kurz darauf
Die Autobahn verlasse, und ich schaue mich kurz um, türmt sich hinter mir ein Schrottgebirge auf
Der Lärm wird unerträglich, auch Sirenen jaulen auf – „Lalülalü“ – die Polizei ist auch schon da
Doch die sollen mich nicht kriegen! Ich muss mich verstecken, tarnen, und dann seh' ich auch die Rettung schon ganz nah:
Überall am Straßenrand stehen Hunderte von Schildern, Wahlplakate einer christlichen Partei
Darauf steht in großen Lettern: „SOZIALISMUS FÜHRT INS ELEND!“ und ich halte an, und greife mir gleich zwei
Die hänge ich mir um den Hals, rolle unter dieser Tarnung unerkannt durch Frankfurt als ein Sandwich-Mann
Die Parole auf den Schildern, die zerriss'nen Klamotten: dies Kostüm kommt bei den Leuten richtig an

Als ich um die Ecke biege, hinterm Eschersheimer Turm, bin ich zwischen Menschenmassen eingekeilt –
Alles linke Demonstranten, und die starr'n auf meine Schilder. Nichts wie weg – hier werden Prügel ausgeteilt!
Doch ich weiß, die Linken lassen sich, bevor sie jemand schlagen, meistens erst auf Diskussionen ein
Das bestätigt sich auch diesmal: sie bestürmen mich mit Fragen, doch was ich erzähle glaubt mir hier kein Schwein!
Kurz und gut: diese Geschichte nimmt doch noch ein gutes Ende, denn ich werde plötzlich von zwei Jungs erkannt –
Ausgerechnet von den beiden, die ich mitgenommen habe zu Beginn der Fahrt durch dies' verrückte Land
Und sie geben mir zu essen, bringen mir eine Gitarre und dann tu' ich das, was ich am besten kann:
Stimme kurz das Instrument – dazu brauch' ich eine Stunde – und schon fange ich ein Lied zu singen an

Und zwar:
Wieder unterwegs
Hab's mir selbst so ausgesucht
Und auch tausend Mal verflucht
Andererseits –
Man kommt viel 'rum und man sieht
Was im Lande so geschieht
Selbst wenn man manches nicht versteht
Wie man's auch wendet und dreht
Aber eins kommt doch meist dabei raus
Und das ist: man lernt nie aus
Fragen über Hannes Wader
Wie alt ist Hannes Wader heute?
Wo lebt Hannes Wader heute?
Wo ist Hannes Wader geboren?

Album Wieder unterwegs (1979)

Hannes Wader
  1. 1.
    So was gibt es noch
  2. 2.
    Im Garten
  3. 3.
    Traum vom Frieden
  4. 4.
    Unterschriftensammlung
  5. 5.
    Freunde, Genossen
  6. 6.
    Schlaf, Liebste
  7. 7.
    Wieder unterwegs
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