Ich hatte damit zu rechnen, dass mich das Liebespaar verraten würde.
Ich musste sofort verschwinden, deshalb warf ich in aller Eile meine Brocken auf einen Haufen, zündete sie an, stopfte mir ein Bündel Geldscheine in die Taschen und lief ohne mich umzusehen immer durch den Wald.
Hinter mir hörte ich noch lange die MP-Munition krachen, die ich ins Feuer geschmissen hatte.
Ich marschierte fast ohne Pause einen ganzen Tag ohne jemanden zu treffen bis auf eine Vogelscheuche im dunklen Zweireiher, den ich gegen mein Kettenhemd und die Pluderhose eintauschte.
Bei Sonnenuntergang erreichte ich endlich ein Autobahnrastplatz, versteckte mich dort und wartete.
Nach Einbruch der Dunkelheit kam eine Fahrzeugkolonne der Bundeswehr und machte eine kurze Rast.
Kurzentschlossen kroch ich unter die Plane eines der Lastwagen und schlief gleich darauf ein.
Als ich wach wurde, fuhren wir durch eine Stadt, die ich nicht kannte.
Irgendwie gelang es mir unbemerkt abzuspringen.
Ich lief ein paar Schritte und stand doch tatsächlich vor dem Hauptbahnhof Bonn.
Ich kaufte mir gleich eine Zeitung, da stand es auch schon in dicken Lettern "
Geisteskranker Unhold wieder aufgetaucht, bedrohte Liebespaar beim Pilze sammeln... " und so weiter.
Mich juckte das wenig, hier in Bonn vermutete mich sicher niemand.
Ich frühstückte erstmal anständig, kleidete mich neu ein und suchte dann nach einem Versteck, um dort meine Lage zu überdenken.
Gegen Abend fand ich, was ich suchte.
Ich brach in eine leerstehende Diplomatenvilla ein, die direkt am Rheinufer lag.
Ich setzte mich in die Küche und dachte nach.
Ich musste schnellstens raus aus der Bundesrepublik und zwar so weit weg wie möglich, nur hatte ich keine Papiere und nicht mehr genügend Geld, weder Freunde noch Bekannte - nichts.
Mir brach der Schweiß aus.
Ich suchte in allen Schubläden nach Schnaps und dabei fand ich eine geladene Parabellum.
Jetzt wusste ich plötzlich, was ich tun würde.
Hier in Bonn wimmelte es ja nur so vor Politikern.
Ich brauchte nur einen zu entführen, um dann der Regierung meine Bedingungen zu stellen.
Für meine Zwecke musste dieser Politiker erstens prominent, zweitens habgierig und korrupt sein.
Mir fiel auch gleich einer ein.
Ich rief ihn zu Hause an, stellte mich als Generalmanager eines multinationalen Unternehmens vor und bot ihm einen saftigen Beratervertrag an.
Es dauerte keine halbe Stunde, da sah ich ihn auch schon durch den Vorgarten huschen.
Kaum war er drin, schloss ich die Tür ab, drückte ihm meine Parabellum in den Bauch und sagte "
Sie sind entführt." Er wurde wütend und brüllte mich an "
Was ist denn für eine Sauerei?
Ich habe mit meinen Parteifreunden ausdrücklich vereinbart, meine Entführung aus wahltaktischen Gründen noch zu verschieben."
Er wollte auch gleich wieder zur Tür.
Ich zwang ihn aber sich zu setzen und fesselte ihn an den Stuhl.
Dann holte ich ein Küchenmesser, ich sagte "
Halten sie mal den Kopf still, ich schneide ihnen nämlich jetzt ein Ohr ab.
Sie müssen das verstehen, irgendwas muss ich ihren Freunden ja schicken, sonst nehmen die mich nicht ernst." Er fragte mich, ob es nicht besser wäre statt dessen seine Zahnprothese zu nehmen. "
Auch gut!
Ich kann sowieso kein Blut sehen, aber packen sie ihr Gebiss bitte selber ein, ich fasse das nicht an." So machten wir es dann auch.
Ich legte einen Brief bei, in dem ich für meine Geisel fünfhunderttausend Mark und ein vollgetanktes Flugzeug forderte.
Gleich am nächsten Tag rief ich an und meldete mich "
Hier spricht der Entführer." Sie hatten schon auf meinen Anruf gewartet, aber der Mann am Telefon meinte nur ganz grob "
Schmieren sie sich ihre Geisel in die Haare.
Wir überlassen ihnen aber gern dafür, dass sie uns den Mann vom Halse geschafft haben fünf Mark und ein vollgetanktes Mofa." Er hängte dann einfach auf und ich stand da wie vor den Kopf geschlagen.
Ich sah nun überhaupt keine Chance mehr.
Ich war drauf und dran, mich der Polizei zu stellen und erzählte das alles meiner Geisel und dabei fing ich schon an, den armen Mann los zu binden, ließ es dann aber bleiben, als ich ihm ins Gesicht sah.
Denn während ich noch erzählte, wurde er plötzlich kreidebleich, die Augen traten ihm aus den Höhlen und mit Schaum vor dem Mund kreischte er immer wieder, er werde die Schweinebande umbringen, dabei wälzte er sich auf dem Boden, dass der Stuhl zu bruch ging.
Es wurde unerträglich und ich stopfte ihm einen Teppich in sein zahnloses Maul.
Nachdem er eine Stunde lang darauf rumgekaut hatte, schien er sich wieder beruhigt zu haben.
Ich löste seine Fesseln und schleppte ihn in eine Ecke und dort lag er bis zum Abend und brütete vor sich hin.
Mir war jetzt alles egal.
Ich trank eine ganze Flasche Schnaps und schlief dann am Tisch sitzend ein.
Als ich dann nach Stunden wieder die Augen aufschlug, saß mir mein Politiker gegenüber, hatte meine Parabellum in der Hand und sagte "
Hör zu du Ratte: Du weißt, dass du erledigt bist.
Du hast aber noch eine Chance, wenn du von jetzt ab tust, was ich dir sage." Was sollte ich machen?
Ich sagte "
Geht in Ordnung Chef."
Von nun ab saß er Tag und Nacht da, schrieb, plante und soff, gab mir Befehle, telefonierte und soff wieder.
Ich musste allen möglichen Leuten geheime Schriftstücke überbringen.
Ich wusste überhaupt nicht, was los war und eines Nachts füllte sich das ganze Haus mit fremden Männern.
Alle krochen heimlich durchs Kellerfenster rein, obwohl die Haustür offen stand.
Als alle vollzählig waren, hielt der Chef eine Ansprache.
Ich begriff davon nur soviel, dass unter seinem Kommando eine Organisation zum Sturz der Regierung gebildet werden sollte, um anschließend ein sozialeuropäisches Reich deutscher Nationen zu errichten unter Wiederherstellung der Grenzen von 814 nach Christi.
Dieser Plan wurde von allen begeistert aufgenommen, damit war die Be Es E Er geboren, die Bewegung sozialeuropäisches Reich.
Im Anschluss daran ging es gleich ans Pöstchen verteilen, dabei gab es Streit .
Ich hielt mich da raus, trotzdem versprach man mir für später auch einen Ministersessel.
Als das erledigt war, kam der gemütliche Teil.
Gut gelaunt und staatsverdrossen fingen nun alle an zu saufen.
Ein Professor für Byzantinistik, der aus Protest gegen die Regierungspolitik schon mehrfach mit dem Fallschirm abgesprungen war, stellte uns einen Mann vor, der für diesen historischen Anlass etwas Kulturelles zur Unterhaltung beitragen wolle.
Der Mann war klein, mager, mit zurück gekämmten Haaren und trug einen dunklen Ledermantel.
Wie er da so stand, schien er mir irgendwie unvollständig, wie verkröpelt – bis ich darauf kam, dass Typ Mensch niemals ohne Schäferhund bei Fuß und Hundepeitsche in der Hand vorkommt.
Und richtig.
Der Mann pfiff leise durch die Zähne, da kroch auch schon ein riesiger Schäferhund unter dem Sofa vor, mit einer Hundepeitsche zwischen den Zähnen.
Das Hinterteil eingeknickt wie bei einer Hyäne, rutsche er winselnd auf den Boden entlang und legte er seinem Herrchen die Peitsche vor die Füße.
Und schon begann die Vorstellung.
Besonders eine Nummer kam gut an, als nämlich der Mann fragte: „Na Hasso, wie machen die Mädels auf Sankt Pauli?", legte der Hund sich auf den Rücken und streckte alle Viere von sich.
Danach kündigte der Hundeführer die Hauptattraktion an.
Indem er Schallplatte auflegte, erklärte er, der Hund würde uns nun etwas vorsingen.
Schon nach den ersten Takten wurde die Melodie von allen erkannt.
Es war die Internationale.
Es wurde scharf protestiert, so einen Dreck wolle man hier nicht hören und ähnliches.
Aber der Hundeführer beruhigte die Leute und sagte, sie möchten doch bitte auf den Hund achten.
Das arme Vieh hatte gleich als es den ersten Ton hörte, versucht sich zu verkriechen, klebte aber wie festgefroren am Boden, zitterte am ganzen Leibe, fletschte die Zähne und röchelte nur.
Dabei tropfte ihm der Geifer von den Lechzen.
Mit Blut unterlaufenen Augen starrte der Hund wie wahnsinnig vor Angst und Hass auf den Plattenspieler.
Dann – als ich dachte, er müsste gleich ersticken vor Entsetzen – hob er plötzlich den Kopf und fing an zu singen.
Das heißt, sein ersticktes Röcheln löste sich plötzlich in erbärmlichen Jaultönen.
Die Wirkung auf die Zuschauer war gespenstisch.
Wie hypnotisiert klotzten alle auf den Hund.
Ich sah, wie sich bei einigen die Nackenhaare sträubten, manche knurrten richtig, verdrehten die Augen, legten die Ohren an und jaulten dann mit gespitzten Mündern gemeinsam mit dem Hund gegen die verhasste Musik an, bis die Platte endlich abgespielt war.
Vollkommen erschöpft und tief ergriffen, sauften sie alle bis zum Morgengrauen weiter und verließen das Haus laut gröllend wieder durch das Kellerfenster, obwohl inzwischen jemand die Haustür ausgehängt hatte.
Ich war nun wieder allein mit dem Chef.
Er war äußerst zufrieden mit allem und sagte zu mir: „Hast du die Nummer mit dem Hund gesehen, du Ratte?
Sowas nenne ich angewandte Politik." Ich fragte, wieso angewandte Politik?
Na, ganz einfach, meinte er: Der Hundeführer quält den Hund mit Elektroschocks und lässt gleichzeitig die Platte laufen.
Also richtet der Hund seine ganze Wut gegen die Musik.
Der Hundeführer tritt nur in Erscheinung, um den Hund wieder von seiner Folter zu erlösen, und der leckt ihm auch noch aus Dankbarkeit die Füße.
Ich sage Dir, die Menschen sind genau so dämlich wie dieser Köter.
Denk an meine Worte, wenn wir erst an der Macht sind.
Die Vorbereitungen für den Putsch dauerten bis in die Karnevalszeit.
Am Rosenmontag war es dann soweit.
Ein berühmter Aktionskünstler – der Chef nannte ihn Jupp – sollte uns in seinem Einbaum, den ihm einer seiner Schüler geschenkt hatte, über den Rhein schippern.
Ob er vom Chef in die Putschpläne eingeweiht war, kann ich nicht sagen.
Die anderen warteten als Happening-Artisten getarnt, alle kostümiert mit Schnellfeuergewehren im Hosenbein auf das Zeichen zum Einsatz.
Dieses Zeichen sollte uns der Byzantinistikprofessor geben, indem er für uns alle sichtbar vom Dach des Langen Eugen mit dem Fallschirm abspringen würde.
Unser Einbaumkapitän hielt uns derweil einen Vortrag über den Totalanspruch der Kunst.
Und darüber hätten wir beinahe den Einsatz verpasst; der Professor war schon längst abgesprungen und gleich mit seinem Fallschirm an einem der Fahnenstangen hängengeblieben, die vor dem Bundeshaus rumstanden.
Und wir sprangen, der Chef vorneweg als Batman verkleidet in den Einbaum und paddelten los.
Am anderen Ufer angekommen, schmissen zwei Mann den Künstler ins kalte Wasser und versenkten den Einbaum.
Und dann stürmten wir mit entsicherten Waffen das Bundeshaus und umstellten den Konferenzraum, in dem der Chef die Regierungsspitze bei einer Sondersitzung vermutete.
Drinnen hörten wir eine laute Debatte.
Es wurde gerade der Vorschlag diskutiert, die Mauer aufzukaufen, um zu verhindern, dass die ganzen Arbeitslosen irgendwann in die DDR flüchten, als der Chef auch schon die Tür aufriss und schrie: „Hände hoch und alles an die Wand." Er fing fürchterlich zu fluchen an, als er feststellte, dass nicht ein einziges Regierungsmitglied anwesend war.
Alles nur Hinterbänkler der dritten Garnitur, die sich zitternd an die Wand drückten, als der Chef unter seiner Maskierung jeden Einzelnen anstarrte, ob denn nicht vielleicht doch der Bundeskanzler dabei wäre.
Ich ahnte schlimmes.
Der Chef war unberechenbar in seiner Wut und suchte nach einem Opfer.
Und er fand auch eins.
Er stürzte auf einen der Abgeordneten zu, es war einer seiner früheren Parteifreunde, feuerte ein halbes Dutzend Schüsse auf ihn ab und riss sich die Maske vom Gesicht.
Der Getroffene schwankte, klotzte den Chef an und erkannte ihn.
Er atmete noch einmal tief durch und sagte fröhlich, während ihm schon das Blut aus Mund und Ohren quoll: „Ach, Du bist das.
Gott sei dank, ich dachte schon, ihr seid Kommunisten." Dann schloss er die Augen, fiel um und starb.
Auch die anderen Abgeordneten hatten den Chef erkannt und hörten auf zu zittern und bekamen wieder Farbe im Gesicht und schöpften neue Hoffnung.
Der Chef hatte sich nun abreagiert und war wieder die Ruhe selbst.
Wir mussten die Gefangenen in einen Nebenraum bringen und die Leiche wegschaffen.
Plötzlich hörten wir von draußen eine Stimme durch ein Megaphon brüllen: „Die Putschisten werden aufgefordert, sich unverzüglich zu ergeben.
Das Gebäude ist umstellt.
Jeder Widerstand ist zwecklos." Der Chef rannte ans Fenster und bekam gleich wieder einen Wutanfall.
Das kann doch nicht wahr sein, schrie er, draußen stehen tausend Mann Bundesgrenzschutz.
Das sind doch alles unsere Leute.
Die habe ich selber hierher befohlen.
Jetzt fallen die mir in den Rücken.
Irgendein Schwein muss uns verraten haben.
Wir fragten ihn, was wir denn nun machen sollten.
Maul halten, sagte er.
Tut, was ich Euch sage: Legt die Waffen ab, wir gehen zum Schein auf alles ein, was die da draußen wollen.
Das übrige mache ich schon.
Obwohl keiner wusste, was er vor hatte, folgten wir seinem Befehl.
Der Chef ging zu den Gefangenen rein, und wir hörten fünf Minuten lang undeutliches Gemurmel durch die geschlossene Tür.
Dann kamen sie alle im Gänsemarsch raus, nahmen sich einfach unsere Waffen und schubsten uns der Polizei in die Arme, ohne dass der Chef sie daran gehindert hätte.
Wir waren allesamt völlig durcheinander und wussten nur eins, dass unser Putschversuch gescheitert war.
Inzwischen hat es einen großen Prozess gegeben, in dem ich als Kronzeuge aufgetreten bin.
Die Ermittlungsbehörden und auch der Chef haben mich dazu überredet.
Der Chef meinte, Du musst aussagen, dass ich von den Putschisten zum Mitmachen gezwungen wurde.
Staatsanwaltschaft und neunzig Prozent der Presse stehen hinter uns, die Öffentlichkeit schluckt alles, wenn man es nur richtig anpackt.
Wenn du spurst, garantieren wir dir Straffreiheit, ein neues Gesicht, einen neuen Namen und vor allem Geld, um ein neues Leben anzufangen.
Ich hatte nichts zu verlieren, also log ich, dass sich die Balken bogen.
Ich weiß nicht, was der Chef mit den Abgeordneten ausgekungelt hatte; jedenfalls erklärten sie vor Gericht, er hätte sie aus den Händen der Putschisten befreit und der Tod ihres Kollegen wäre ein Unfall gewesen.
Und Jupp, der Aktionskünstler, wurde vorgeladen und wusste wieder von gar nichts, hat aber inzwischen seinen Einbaum geborgen, die Löcher mit Leukoplast verklebt, zum Kunstwerk erklärt und für eine halbe Million an ein Museum verkauft.
Die Putschisten hatten Glück trotz meiner belastenden Aussagen.
Es konnten ihnen keinerlei Kontakte zu linksradikalen Gruppen nachgewiesen werden.
Sie wurden wegen groben Unfugs belangt.
Der Prozess hat meine Nerven sehr angegriffen.
Die Putschisten haben mir Rache geschworen, die Öffentlichkeit hält den ganzen Prozess für Schwindel, aber von offizieller Seite habe ich die Versicherung, mich um die freiheitliche, demokratische Grundordnung besonders verdient gemacht zu haben.
Deshalb bereite ich mich auf eine Beamtenlaufbahn vor.
Ich will Lehrer werden, über den zweiten Bildungsweg.
Ich lese sehr viel.
Hier im Krankenhaus habe ich auch die Ruhe dazu.
Ich habe nicht mal gemerkt, dass seit dem Prozess wieder fünf Jahre vergangen sind.
Ich warte jetzt nur noch auf meine Gesichtsoperation und dann brauche ich keinen Wärter mehr und auch keine Gitter mehr vor den Fenstern.
Writer(s): Hannes Wader
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